Montag, 19. September 2011
Millionen von Menschen auf der ganzen Welt mixen stinkendes Pulver und Wasser zu Schlamm, den sie sich dann in die Haare reiben. Die meisten Mädchen machen spätestens mit 16 Jahren Bekanntschaft mit Henna, wenn sie in ihrer Selbstfindungsphase beim Testpunkt «geheimnisvoll» angekommen sind.
Wer sich die Haare orange färbt, will sich eine besondere Aura geben. Welche, wissen zumindest die 16-jährigen Mädchen selbst meist noch nicht genau. Richtige Hexen wollen sie sicher nicht sein, aber gern abgedreht, flippig oder auch tiefsinnig.
Echte Rothaarige allerdings haben nicht die Wahl. Bis sie an den Punkt kommen, an dem Anderssein sich gut anfühlt, durchlaufen viele von ihnen harte Jahre voller Schulhofhänseleien und Pubertätsdepressionen - zumal sich rotes Haar nicht einfach wegfärben lässt. Doch wenn dieses Tal erst einmal durchlaufen ist, besteht kein Zweifel mehr: Sie sind außergewöhnlich, und richtig gepflegt sieht rotes Haar wunderschön aus.
Rotschöpfe sind, was andere sein wollen
Auch innerlich hat der emotionale Crosslauf inzwischen den Charakter so geprägt, dass Rotschöpfe all das schon sind, was brünette Rotfärber sich anzudichten versuchen: Wer als Kind und Jugendlicher anders ist als andere, wird automatisch abgedreht, flippig und/oder tiefsinnig. Lohnt sich der Leidensweg also?
Ole Schou ist da sehr skeptisch. «Ich denke nicht, dass jemand einen Rotschopf wählt, es sei denn, der Partner - zum Beispiel der sterile Mann - hat rote Haare oder die alleinstehende Mutter eine Vorliebe für Rothaarige. Und vor allem letzteres kommt vermutlich nicht so häufig vor.» Schou ist Direktor der weltweit größten Samenbank Cryos aus Dänemark. Seine Haare sind grau, obwohl, wenn man sein Bild googelt, jede Menge Rothaarige erscheinen. Das verdeutlicht den Aufruhr, den seine Ansage am Wochenende verursacht hat: Cryos möchte keine rothaarigen Spender mehr haben, der Bedarf sei gesättigt.
Die späte Sühne für die Kräuterhexe
Rein faktisch mag Herr Schou recht haben. Nur ein bis zwei Prozent der Weltbevölkerung hat von Geburt an rot-orangefarbenes Haar, und immer wieder sagen Prognosen ein Aussterben der Rothaarigkeit bis 2100 voraus, denn ein Baby bekommt nur rotes Haar, wenn beide Elternteile das Gen in sich tragen. Rot ist also auf dem absteigenden Ast.
Aber genau das ist doch die Chance der Samenbanken. Wenn schon der Natur ins Handwerk pfuschen, dann wenigstens farbenfroh! Ole Schou und seine Kollegen könnten einen wichtigen Schritt zum Minderheitenschutz tun, wenn sie roten Samen offensiv anpriesen, statt ihn mit seinen seltenen Gen-Informationen ins Abwasser ziehen zu lassen.
Und rote Haare haben noch mehr Vorteile. Sie harmonieren ganz vortrefflich mit grün, der Farbe der Beruhigung und Natur. Rothaarige fördern - als Beitrag zu Umweltschutz und Entschleunigung. Das wäre sicher auch im Sinne der armen, rothaarigen Kräuterweiber, die im
Mittelalter als Hexen verbrannt wurden. Und denen sind wir wirklich noch etwas schuldig.
Dieser Text ist auf dem Nachrichtenportal news.de erschienen.
Dienstag, 13. September 2011
Es gibt nichts Schöneres... Das ist eine gern genutzte Floskel. Dass dem so ist, ändert jedoch nichts daran, dass es nichts Schöneres gibt als alte Liebesbriefe zu lesen. Dabei ist es fast egal, ob sie selbst geschrieben sind oder selbst empfangen.
So ein altes Stück Papier komprimiert praktisch alles, was der westliche Mensch braucht, um sich zu verlieren: Erinnerungen an die Jugend, tiefe Gefühle, Liebe und ein Hauch Tragik. Das alles wäre auch ohne Brief möglich, doch der physische Beweis auf Papier adelt die Erinnerung: Es ist nicht nur ein Hirngespinst, nein, da war wirklich mal was, und es war tief und besonders. So ist das mit alten Liebesbriefen. Sie sind das Herzstück der Nostalgie, und wir lieben Nostalgie.
Was den Völkern des Orients die Meditation im Hier und Jetzt, erreicht durch Yoga oder Tai-Chi, ist uns nostalgisch veranlagten Okzidentalen die rückwärts gewandte Erinnerung, in ihr finden wir für einen kurzen Moment die Katarsis, die Reinigung von Stress und Mühlen des Alltags.
Nun hat offenbar die chinesische Post genug vom Hier-und-Jetzt-Denken der Bürger. Sie hat die westliche Nostalgie entdeckt und will sie für sich nutzbar machen, denn die Scheidungsrate in Peking hat sich in den vergangenen sieben Jahren fast verdoppelt. Ein wenig nach hinten und nach vorn denken im persönlichen Zeitstrahl bringt mehr Kontinuität ins Leben, mag sich die Oberpostdirektion gedacht haben und bietet nun an, Liebesbriefe erst nach sieben Jahren zuzustellen.
Just im verflixten Jahr also kommt dann eine geballte Portion frischer Verliebtheit bei den angenervten Eheleuten an und erwischt sie mit voller Breitseite im Hier und Jetzt. Doch die Post begibt sich auf dünnes Eis. Wer weiß, mit wem die Verliebten in sieben Jahren zusammen sind. Potentielle neue Partner dürften mäßig erfreut sein, wenn ständig neue Liebesbriefe von Verflossenen ins Haus flattern. Da kann der Schuss schnell nach hinten losgehen.
Dieser Artikel ist bei news.de erschienen.
Samstag, 10. September 2011
Ein Job. Eine richtige Arbeit, eigenes Geld verdienen, nicht mehr von Mama und Papa abhängig sein oder endlich das blöde Kellnerportemonnaie entsorgen. Wie ein Lottogewinn erscheint diese Vision vielen Uni-Abgängern.
Bis zur Zwischenprüfung haben sie sich und ihr Studentendasein gefeiert, Teller erst abgewaschen, wenn kein sauberer mehr da war, und jeder Freitag- oder Samstagabend, der zuhause verbracht wurde, war ein verlorener Abend.
Nur Mitleid war da für die Freunde, die sich für eine Ausbildung entschieden hatten. Im Kostümchen in die Bank oder jeden Tag um acht in der Werkstatt stehen, dazu noch Berufsschule - puh, eine andere Welt, zum Glück nicht unsere. Denken viele Studenten vor der Zwischenprüfung.
Wenn allerdings der Abschluss naht, werden sie nervös. Vier bis zehn Jahre sind vergangen, und jetzt sind sie bald Kommunikations- und Medienwissenschaftler. Soziologen. Germanisten. 78 Prozent der Geisteswissenschaftler finden nach dem Abschluss nicht gleich einen regulären Job, rund die Hälfte ist auch nach einem Jahr noch nicht ins Arbeitsleben eingesteigen. Und selbst nach fünf Jahren sind 30 Prozent weiterhin ohne feste Arbeit, hat eine Studie des IS-Instituts für Hochschulforschung ergeben.
Und mit denen, die einen dieser heiß umflirteten Arbeitsplätze in der Werbebranche ergattert haben, geht es auch schnell abwärts. Vom vielen auf dem Bürostuhl sitzen, wird der Hintern immer breiter und die Augen werden immer schlechter. Kohle und knappe Freizeit gehen fürs Fitnessstudio drauf.
Da ist es doch eine wundervolle Nachricht, dass das Handwerk boomt! Werkeln, schnitzen, schneiden hämmern, nähen, reparieren, malern - und dabei den Geist schweifen lassen, anstatt ihn auf digitale Zeichen einzudampfen. Das Handwerk ist die wahre Geisteswissenschaft - jetzt müssen das nur noch die angehenden Studenten merken - spätestens bis zur Zwischenprüfung.
Dieser Text ist bei news.de erschienen.
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