Millionen von Menschen auf der ganzen Welt mixen stinkendes Pulver und Wasser zu Schlamm, den sie sich dann in die Haare reiben. Die meisten Mädchen machen spätestens mit 16 Jahren Bekanntschaft mit Henna, wenn sie in ihrer Selbstfindungsphase beim Testpunkt «geheimnisvoll» angekommen sind.
Wer sich die Haare orange färbt, will sich eine besondere Aura geben. Welche, wissen zumindest die 16-jährigen Mädchen selbst meist noch nicht genau. Richtige Hexen wollen sie sicher nicht sein, aber gern abgedreht, flippig oder auch tiefsinnig.
Echte Rothaarige allerdings haben nicht die Wahl. Bis sie an den Punkt kommen, an dem Anderssein sich gut anfühlt, durchlaufen viele von ihnen harte Jahre voller Schulhofhänseleien und Pubertätsdepressionen - zumal sich rotes Haar nicht einfach wegfärben lässt. Doch wenn dieses Tal erst einmal durchlaufen ist, besteht kein Zweifel mehr: Sie sind außergewöhnlich, und richtig gepflegt sieht rotes Haar wunderschön aus.
Rotschöpfe sind, was andere sein wollen
Auch innerlich hat der emotionale Crosslauf inzwischen den Charakter so geprägt, dass Rotschöpfe all das schon sind, was brünette Rotfärber sich anzudichten versuchen: Wer als Kind und Jugendlicher anders ist als andere, wird automatisch abgedreht, flippig und/oder tiefsinnig. Lohnt sich der Leidensweg also?
Ole Schou ist da sehr skeptisch. «Ich denke nicht, dass jemand einen Rotschopf wählt, es sei denn, der Partner - zum Beispiel der sterile Mann - hat rote Haare oder die alleinstehende Mutter eine Vorliebe für Rothaarige. Und vor allem letzteres kommt vermutlich nicht so häufig vor.» Schou ist Direktor der weltweit größten Samenbank Cryos aus Dänemark. Seine Haare sind grau, obwohl, wenn man sein Bild googelt, jede Menge Rothaarige erscheinen. Das verdeutlicht den Aufruhr, den seine Ansage am Wochenende verursacht hat: Cryos möchte keine rothaarigen Spender mehr haben, der Bedarf sei gesättigt.
Die späte Sühne für die Kräuterhexe
Rein faktisch mag Herr Schou recht haben. Nur ein bis zwei Prozent der Weltbevölkerung hat von Geburt an rot-orangefarbenes Haar, und immer wieder sagen Prognosen ein Aussterben der Rothaarigkeit bis 2100 voraus, denn ein Baby bekommt nur rotes Haar, wenn beide Elternteile das Gen in sich tragen. Rot ist also auf dem absteigenden Ast.
Aber genau das ist doch die Chance der Samenbanken. Wenn schon der Natur ins Handwerk pfuschen, dann wenigstens farbenfroh! Ole Schou und seine Kollegen könnten einen wichtigen Schritt zum Minderheitenschutz tun, wenn sie roten Samen offensiv anpriesen, statt ihn mit seinen seltenen Gen-Informationen ins Abwasser ziehen zu lassen.
Und rote Haare haben noch mehr Vorteile. Sie harmonieren ganz vortrefflich mit grün, der Farbe der Beruhigung und Natur. Rothaarige fördern - als Beitrag zu Umweltschutz und Entschleunigung. Das wäre sicher auch im Sinne der armen, rothaarigen Kräuterweiber, die im
Mittelalter als Hexen verbrannt wurden. Und denen sind wir wirklich noch etwas schuldig.
Dieser Text ist auf dem Nachrichtenportal news.de erschienen.