
Es gibt zwei Tage im Jahr, da müssen wir Redakteure uns keine Gedanken ums Thema machen: Sommerzeit und Winterzeit sind feste Bänke in der vermischten Berichterstattung. Doch selbst das kurzlebigste Journalistengedächtnis fühlt sich irgendwann vereimert von den ewigen Zeitschleifen. Vor, zurück, vor zurück - wie beim Tango. Irgendwann müsste es doch auch der Letzte im Blut haben.
Also schert der Geist aus und zieht seine Kreise. Bis er in Lateinamerika plötzlich unsanft aneckt. Gleich oben an der Karibikküste steht ein schmaler Turm in der Zeitenwelt. Nur eine halbe Stunde ist er breit, aber gerade deshalb ragt er heraus aus dem weltweiten System von Sommer- oder Winterzeit.
Venezuela hat keinen Sommer und keinen Winter, es liegt gleich oberhalb des Äquators, und jeder Tag ist ungefähr zwölf Stunden lang. Morgens geht ungefähr um 7 Uhr die Sonne auf, abends um 19 Uhr wieder unter. Doch nicht nur das: Seit 13 Jahren zwingt Hugo Chávez seinem Land das Morgengrauen der Revolution auf - und da konnte es sich ein Machthaber seines Kalibers nicht nehmen lassen, den Sonnenaufgang einfach ein wenig nach vorn zu ziehen.
Eine eigene halbe Stunde für Venezuela
Am 9. Dezemer 2007 war es soweit. Statt um 7 Uhr lässt sich die Sonne seitdem schon um 6.30 Uhr blicken - weil Chávez die Uhren zurückdrehen ließ. Die liebevolle Begründung, die der Revolutionsführer in seiner sonntäglichen Marathon-TV-Sendung Aló Presidente vorbrachte: So sollen die Kinder morgens im Sonnenlicht zur Schule gehen können und der Schlafrhythmus seines gesamten Volkes mit dem Tagesverlauf in Einklang gebracht werden. Aha. Doch zunächst holperte der Biorhythmus seiner Bürger gefährlich.
Eine Nebenwirkung, die Chávez gerne in Kauf nahm, solange er nur sein eigentliches Ziel erreichte: Nicht mehr im zeitlichen Gleichklang mit den verhassten Vereinigten Staaten zu ticken. Eine eigene Zeitzone für seinen Sozialismus zu schaffen. Dubios nur, dass ausgerechnet der amerikanische Weltherrscher Microsoft eine Lösung entwickeln musste, damit die Rechner in Venezuela sich an ihr neues Zeitsystem anpassen konnten.
Kanzlerin Merkel sollte die Autolobby rannehmen
Eigentlich ist Zeit in Venezuela allerdings ohnehin ein reines Luxusproblem, da die Sonne ständig scheint. Wirklich revolutionär wäre es, dächte sich unsere Angela ein Modell aus, das dem jahreszeitengeplagten Biorhythmus hierzulande Frieden beschert. Vielleicht könnte sie sich dazu von der ohnehin allzeit bereit stehenden Autolobby beraten lassen, denn die erstrebenswerte Zeitzone in unseren Breiten wäre ganz klar eine Knautschzone.
Dabei könnten die Ingenieure sich ein simples physikalisches Gesetz zunutze machen: Materie zieht sich bei Kälte zusammen und dehnt sich bei Wärme aus. Selbiges müsste nun nur noch auf die Zeit übertragen werden, und schon hätten wir einen kurzen, knackigen Winter mit noch kürzeren, dunklen Nächten und einen wundervoll langen Sommer, in dem es sowieso immer hell ist.
Angenehmer Nebeneffekt: Die Autolobby wäre beschäftigt und hätte keine Ressourcen mehr frei, um große, dicke, stinkende Autos zu erfinden. Und es wäre nie zu kalt zum Fahrradfahren.
Dieser Text ist bei news.de erschienen.